Der im Jahre 2010 von Alexander Osterwalder veröffentlichte Band „Business Model Generation“ hat in der Beraterwelt viel Staub aufgewirbelt. Das Buch ist praktisch anwendbar, sehr schön gemacht und vor allem ganz anders als alles Bisherige auf dem Gebiet. Und der Erfolg gibt dem Autor Recht.
Der Band war auch Gegenstand intensiver Gespräche zwischen dem Autor dieses Beitrags und Andreas Wettstein, der dieses Konzept von Anfang an in der Praxis eingesetzt hat. Dabei ging es vor allem um die Frage, wie man das Business Model Canvas und weitere im Buch beschriebenen Methoden für die Beratung von Unternehmen auf der Suche nach neuen Wachstumsfeldern verwenden kann. Beide Gesprächspartner sind sehr vom Modell überzeugt und sehen darin enormes Potenzial nicht nur für Startups, sondern auch für etablierte Unternehmen.
Jedoch hat mich immer wieder etwas irritiert. So praktisch das Business Model Canvas ist, mir ist aufgefallen, dass irgendetwas fehlt. Es ist ja nicht so, dass Alexander Osterwalder die Welt neu erfunden hat. Auch wenn er einen sehr praktischen und pragmatischen Ansatz vorlegt, so lässt sich darin doch Vieles aus bekannten Ansätzen und Modellen wiederfinden – oder eben auch nicht.
Was mir von Anfang gefehlt hat, und was dann unsere Diskussionen immer mehr bestätigt hat, ist das Element, das man „das lösungsunabhängige Kundenproblem“ nennt. Ich habe dieses Element immer vom Produkt oder von der angebotenen Dienstleistung getrennt. Eine Uhr ist ein Produkt mit einer „Value Proposition“, nämlich die Zeit zu messen. Aber dieses Kundenproblem besteht unabhängig von der Uhr und kann auch ganz anders gelöst werden. Dies trifft sogar noch mehr zu, wenn wir die Uhr als Luxusgut oder als Statusobjekt verkaufen. Es ist das, was Clayton Christensen in seinen Büchern “The job to be done” nennt. Bei Osterwalder findet “The job to be done” in einem separaten Canvas Platz. Das ist eigentlich schade.
So habe ich mich lange damit beschäftigt, wie sich das Canvas-Model mit diesem Element ergänzen lässt, ohne dadurch zerstört oder beschädigt zu werden. Und wie es manchmal so ist, die besten Gedanken kommen dann, wenn man alleine ist. Bei einem ausgedehnten Lauf durch den Wald hatte ich die Idee: wenn man das Modell mit dem altbekannten Navigationssystem von Aloys Gälweiler vergleicht, so fällt auf, dass Gälweiler in der obersten Ebene die Innovation darstellt, und zwar mit zwei Elementen, die bei Osterwalder gänzlich fehlen: das eine ist das genannte „lösungsunabhängige Kundenproblem“; das andere nennt Gälweiler „die technologische Lösung“ für eben dieses Problem. Und genau damit, mit diesen beiden Elementen, lässt sich das Canvas-Model vervollständigen.
Somit ergibt sich die Kette: Kunde – Kundenproblem – Technologie – Produkt oder wenn Sie es vorziehen: Produkt – Technologie – Kundenproblem – Kunde.
Das Bestechende daran ist, dass das Modell schön symmetrisch bleibt und logisch zusammenpasst
(Basierend auf dem Ansatz von A. Osterwalder)
Innovation erhalten wir bekanntlich von zwei Seiten: vom Markt und von der Technologie. Die beste Darstellung diesbezüglich ist wohl das Modell von Prof. Hugo Tschirky, der an der ETH Zürich lehrt und ein umfassendes Vorgehen für Innovationsmanagement entwickelt hat.
Auf der Basis einer eingehenden Beschäftigung mit dem Ansatz von A. Osterwalder haben wir ein praktisches Vorgehen erarbeitet und für dieses Konzept das Modell durch die beiden neuen Elemente ergänzt. Ich erlaube mir hier, Ihnen in Ergänzung zu den Beschreibungen der bestehenden Felder einen Vorschlag für die beiden neuen Elemente „Kundenproblem“ und „Lösungstechnologien“ zu unterbreiten.
Das Lösungsunabhängige Kundenbedürfnis
Dieser Baustein steht für das Kundenproblem, das ein Unternehmen befriedigen will – und zwar geht es um das «lösungsunabhängige Kundenproblem». Wir benutzen hier die Begriffe «Kundenproblem» – «Kundenbedürfnis» und «Kundenwunsch» als Synonyme. Dieses lösungsunabhängige Kundenproblem ist vielfach latent vorhanden und wird durch neue Produkte oder Dienstleistungen nur anders und meist besser befriedigt. Das Kundenproblem lässt sich durch etwas lösen, das einen Nutzen bringt, und genau für diesen Nutzen ist der Kunde bereit, Geld zu bezahlen. So z.B. bezahlt der Kunde im Idealfall nicht für eine Uhr, sondern für die «Problemlösung», jederzeit die genaue Zeit zu kennen – ausser die Uhr stellt ein Statussymbol dar. Oder das Produkt „Auto“ ist nicht in erster Linie eine wenn auch noch so schön gestaltete Maschine auf vier Rädern, sondern die Möglichkeit, sich jederzeit von A nach B bewegen zu können. Es ist vielfach nützlich, eine Geschäftsidee auf dieses «Problem» zu abstrahieren, um auf neue Lösungstechniken zu kommen. Innovation vom Markt her beschäftigt sich vor allem damit und kann nur funktionieren, wenn man dieses Problem genau kennt.
Dabei kann es sich um ein originäres Problem handeln wie z.B. Essen und Trinken oder um ein sekundäres, abgeleitetes Problem wie z.B. Luxusgüter, Ferien oder weitere Annehmlichkeiten, die über ein elementares Grundbedürfnis hinausgehen.
Die wichtigsten Fragen zu diesem Feld sind
- Welchen Kundennutzen wollen wir befriedigen?
- Für was bezahlt der Kunde wirklich?
- Welches ist der Hintergrund einer Problemlösung?
- Welches sind die wirklichen Kaufkriterien?
- Welche Kaufkriterien werden von unseren Produkten besser gelöst?
Lösungstechnologien
Dieser Baustein steht für die technischen Lösungen, die hinter einem Produkt oder einer Dienstleistung steht. Technologien haben meist einen gewissen Lebenszyklus und werden nach einer gewissen Zeit von neuen Technologien abgelöst, die ein Kundenproblem besser und günstiger lösen können. Damit setzt ein Substitutionsprozess ein, der zur Ablösung bestehender Produkte im Markt führt. Dieser Vorgang folgt im Normalfall dem Muster einer S-Kurve. Ein Beispiel dafür ist die Substitution von Pferdekutschen durch Automobile. Innovation findet stets im Zusammenspiel mit der Kenntnis des originären Kundenproblems und neuen Lösungstechnologien statt. Der Zeitrahmen der Substitution ist unterschiedlich, kann aber Jahre oder gar Jahrzehnte umspannen. Die erste Darstellung eines neuen Lösungskonzeptes nennt man Invention – Erfindung, während Innovation erst dann vorliegt, wenn sich das Produkt im Markt durchsetzt.
Lösungstechnologien können schrittweise Verbesserungen sein oder gänzlich neue Konzepte wie z.B. Laserdrucker oder die Faxtechnologie, die den Telex substituiert hat (deren Erfindung übrigens auf das Jahr 1931 zurückgeht).
Die wichtigsten Fragen
- Welche bestehenden Lösungstechnologien stehen hinter den Produkten?
- Wo hat unser Unternehmen Kompetenzen – Kernkompetenzen?
- In welcher Lebensphase befinden sich diese Technologien?
- Wo stehen neue Erfindungen an und welche Kundenprobleme können damit (viel) besser gelöst werden?
- Welches Kaufkriterium können wir markant verbessern?
Auf unserer Website finden Sie mehr zu unserem neuen ergänzten Ansatz: www.furger-partner.com
Zürich, den 20. Februar 2013
Ignaz Furger
© Ignaz Furger, 2013
Die Illustrationen basieren auf Business Model Canvas von A. Osterwalder